LFR051 Bildung ohne Menschlichkeit

Dieses Jahr gibt es wieder eine Serie, bei der ich versuche zum Umreißen, warum Schule eigentlich so menschenfeindlich ist, wie das interaktionell passiert und warum es eine sehr schlechte Idee ist. Natürlich wird es auch Lösungsvorschläge geben. In dieser ersten Sendung gibt es einen Problemaufriß anhand von Anekdoten.

6 Gedanken zu „LFR051 Bildung ohne Menschlichkeit

  1. Frederic

    Freue mich auf die Serie!
    Denn genau wie du sagst, haben wir diskutiert und nicht gestritten 🙂
    Eine kleine Rückfrage habe ich aber (vlt wird das eh in einer zukünftigen Folge noch stärker tangiert): Und zwar an der Stelle wo du beschreibst, wie sich eure S_S beschweren, dass sie mehr Zeit aufwenden müssen für die Schule nun als vorher für ihre Berufe.
    Da kam mir der Gedanke, dass das doch aber auch okey ist, so sein müsste. Denn ein Abitur sollte es nicht für jede_n geben?
    Das ganze ist natürlich sehr komplex und da stecken viele Argumente und Gegenargumente drinne. Zum Beispiel den Handwerksmangel, „arbeitslose Philosophie- und Soziologie-Graduierte“…

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    1. Thomas Beitragsautor

      Vielleicht gehe ich da mal drauf ein. Aber ich antworte schon mal hier:

      Das Abitur ist mittlerweile der Standardabschluss in Deutschland. Es ist nicht mehr elitär. Viele Studiengänge sind direkt an Ausbildungen angelehnt. Dazu ist Zugang zu einem Abitur nachgewiesenermaßen abhängig vom Sozialstatus der Eltern und der Person. Die Leistungstests (PISA, etc.)zeigen, dass die Leistungen von Abiturienten nicht weit von denen von Hauptschüler*innen entfernt sind. Damit ist es reines Privilegiengeschachere, dass ich an der Schule, die Deutschland mit Abituren nachversorgt sehr direkt kenne.

      Das Argument hält also nicht wirklich. Denn dann wären nicht 50% unserer Abschlüsse heute Abiture. Dazu müsste ich die Gegenfrage stellen, warum es gesund sein sollte, dass die Benchmark für die Zulassung zur Universität eine höhere Arbeitsbelastung sein sollte, als diejenige, die mich nach dem Studium erwartet? Und das Studium ist ja theoretisch auch auf 40h in der Woche ausgelegt. Das Argument ist also auch an sich nicht sachlogisch.

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      1. Frederic

        ich habe kein richtiges Argument gemacht, sondern ne (normative) These/Vermutung in den Raum gestellt, mit nen Fragezeichen.
        Du hast jetzt mehrere Punkte aufgetan, wenn ich das richtig sehe:
        1. deskriptive Aussage, dass Abi Meister Abschluss ist – korrekt aber was folgt daraus? Nach Hume nicht, dass es so sein sollte..
        2. deskriptive Aussage, dass Abschluss von Elternhaus abhängt – korrekt und hier ziehen wir beide (schätze ich) daraus eine Folge, nämlich die normative Forderung, dass das nicht so sein sollte. (steckt noch drin, dass ökonomischer Status durch Abschluss stark beeinflusst ist). Dennoch sind hier noch andere Möglichkeiten offen: z.B. könnte auch versucht werden, den Zusammenhang in der Klammer zu ändern. Das ist er finde ich auch schon etwas. als Handwerksmeister wirste reicher als in nicht wenigen Studiengängen. Und genau daran knüpft ja gerade die These, ob es nicht kontraproduktiv ist, so stark aufs Abi zu setzen..
        3. Den zweiten Absatz verstehe ich nicht. Nehmen wir S1 und S2 aus der Sek II, mit den gleichen Kursen. S1 schafft alles in 38 Stunden die Woche, S2 braucht 50. S2 wird dann auch in einem etwaigen mehr als die theoretisch angesetzten 40 Stunden im Studium brauchen. Ich sehe nicht, wie die Schule also eine höhere Belastung macht, als im Studium?
        LG

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        1. Thomas Beitragsautor

          Ah, du diskutierst das wie ein Philosoph. Ich eher wie ein Sozialwissenschaftler.

          Zu 1./2.: Das irgendwas nicht so sein soll wie es ist, ist müßig. Unsere gesellschaftliche Struktur ist nun mal so. Wir können gerne länglich diskutieren, ob das ideal ist, aber das hilft mir und den Menschen mit denen ich arbeite jetzt nicht. Alles, was du da als Möglichkeiten des Ändern beschreibst braucht entweder sehr harte politische Wenden oder langwierige gesellschaftliche Wenden. Ich habe heute Schüler*innen mit Burnout. Die Diskussion ist nett, aber ich habe sie schon vor sehr langer Zeit geführt und stehe jetzt in dem Moment, dass das alles konkret ist. Und wenn es konkret ist, dann braucht es auch konkrete Lösungen. Ich würde hier auch die Gegenfrage stellen: ist nicht der wiederholte Hinweis, dass man nur die Strukturen ändern müsste, eine sehr gute Strategie, sie nicht ändern zu müssen, weil ja das wie noch ausdiskutiert werden muss?

          Zu 3. Weil du von den Schüler*innen ausgehst. Das tut aber niemand. Die tatsächliche Leistungsfähigkeit der Person ist hier vollkommen egal. Stattdessen wird vom System angenommen, dass es eine Menge von zumutbarer Arbeit gibt. (Hier werden die Ferien ja gerne als extensive Ruhepause global und unzulässig abgezogen.) Diese Menge wurde aber ohne jegliche empirische Überprüfung festgelegt und übersteigt die Menge, die wir für Lohnarbeitende als Kern der wirtschaftlichen Produktivität in Deutschland festgelegt haben. Nicht nur das, im Gegensatz zu Lohnarbeitenden und Studierenden sehen sich Schüler*innen hier einer diffusen und damit prekären Arbeitslast ausgesetzt. (Als prekär bezeichnet man in der Sozialwissenschaft einen Zustand in dem man keine Voraussagen über die Zukunft machen kann.) Dafür hat man zwei Institutionen mit Machtmitteln (Lehrkräfte und Eltern), die einen in einen dazu zwingen den Anweisungen beider zu folgen. Das Argument ist hierbei, dass die beiden Gruppen ja im Interesse der Schüler*in handeln. Nachdem wir aber ein Schulsystem haben, bei dem Selektion die einzige gesellschaftlich sinnvolle Aufgabe ist, die dazu noch sehr testorientiert umgesetzt ist, werden Schüler*innen von allen Beteiligten überbelastet, weil die alle ja nur das Beste wollen. Dabei wird seltener nach dem Wohl der Schüler*innen geschaut (oder erst, wenn es zu spät ist) und nicht reflektiert, welche Arbeitslast man wirklich gerade sehr jungen Menschen auflastet.

          Kurz: Schule ist ein diffuser Machtapparat, dem Minderjährige ausgeliefert sind, Arbeit und Studium ist ein reglementiertes Vertragsverhältnis für Erwachsene. Schüler*innen werden regelmäßig mit 2-3h Hausaufgaben in einem Alter zugeschmissen, in dem unser Gesetz es ihnen verbietet Zeitung auszutragen.

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          1. Frederic

            Hi Thomas und Mitlesende,
            also zuerst einmal muss ich sagen, dass ich da (um 1:13 Uhr.. vlt lag es daran) zum Teil ziemlich wirr geschrieben habe :O
            Aber gut, weiter gehts. Auch wieder spät (#nflsüchtig), dafür klarer, denke ich.

            Lass uns nochmal sortieren: Ich glaube wir kommen doch zuerst zusammen. Wir sehen beide, dass es (manchen) S_S nicht gut geht. Wir wollen beide, dass das nicht so ist.

            Bei der Analyse bin ich nicht ganz sicher, ob wir die gleich vollziehen: Verstehe ich richtig, dass du sagst die Menge an Arbeit, die die Schule fordert, übersteigt für jede_n S_S das zumutbare Maß? Das würde ich nämlich bestreiten – die Belastung sowie Wochenarbeitszeit variiert doch individuel. Nicht allen S_S geht es schlecht.

            Bei der Frage warum manche oder auch immer mehr S_S eine hohe, zu hohe Belastung haben, stimme ich dir voll zu: Verschleierte (weil “wir wollen doch nur das Beste für dich”) aber schädigende Erwartungen von Eltern, Lehrkräften etc..

            Ich weiß nicht, ob es hilft, jetzt auch noch den letzten Schritt zu den Folgerungen zu gehen, oder ob wir erst die obigen Punkte klären sollten.. aber ich mache es trotzdem auf: Du sagst ich will über das Wie diskutieren, ich glaube aber wir liegen hier im Was auseinander. Ich finde, die Schule braucht auf jeden Fall Reformen, aber keine Absenkung der Anforderungen im Abitur, sondern ein besseres matching zu fachbezogenen Abschlüssen und Hochschulreifen. Und eine Aufwertung im Ansehen dieser. Durch eine ehrliche Probezeit erkunden die Menschen ihre Möglichkeiten und es geht ihnen dann damit besser. (Ihr habt ja eine Probezeit… ich verstehe anscheinend nicht ganz, was du dir vorstellst, wie es den S_S besser ergehen kann :/)
            SG
            Frederic

          2. Thomas Beitragsautor

            Ich hatte das Problem früher mit Baseball. 🙂

            Genau. Ich würde sagen, dass das Argument, dass die Arbeitsbelastung individuell variiert, überhaupt nichts zur Sache tut, sondern die Falle der Individualisierung struktureller Phänomene ist. Das ist gerade im Schulwesen eine beliebte Denkfigur. Die Fähigkeit zur Selbstreflexion ist gerne mal wenig ausgeprägt. Wenn ich für jede Schuldzuschreibung an Klassen/Schüler*innen einen Kuchen bekommen würde, wird das nix mehr mit Abnehmen. Das Argument, dass es nicht allen Schüler*innen schlecht geht, ist keins gegen strukturelle Probleme. Wie gesagt: der Hinweis darauf, dass einzelne Menschen nicht an Lungenkrebs sterben, wenn sie starke Raucher sind, führt auch nicht dazu, dass wir Räume mit Nikotinrauch fluten. Und ich würde auch sagen, dass wir Arbeitsbelastung durch Schule bis heute nicht messen, nicht einberechnen und sie Menschen überlassen die in semi-antagonistischen Rollen Macht ausüben. Und die erzählen dann natürlich gern, dass es nicht strukturell ist, auch weil sie eigentlich nichts falsch machen wollen.

            Das mit den Absenkungen der Anforderungen im Abitur ist so ein bildungsbürgerlicher Topos. Das Abitur soll ja Allgemeinbildung und Hochschulzugangsberechtigung nachweisen. Das möge man bitte mal mit jedem Lehrplanitem argumentieren. Da können wir nämlich durchaus Dinge streichen. (Und das nicht an den erwartbaren Stellen wie Politik oder Ethik… Ich hab mit Politik weitaus bessere Karten als mit „einen materialgestützten Aufsatz in Englisch schreiben“.) Probezeiten existieren bei uns um Menschen davor zu beschützen, Lebenszeit und in dem Fall auch Arbeitszeit und damit bares Geld zu verschwenden, in dem sie einer Versicherung von Vorschulen glaubend bei uns ein Fachabitur anstreben, die meinen sie ausreichend fachlich ausgebildet zu haben. Das Gymnasium hat als zentrales Versprechen an eine soziale Gruppe, dass es diese Hürden nicht gibt, sondern dass ein Kind mit ausreichendem sozialen Status relativ unabhängig der eigenen Fähigkeiten einen schulischen Abschluss erhält, der diesen perpetuiert. Probezeiten wären hier natürlich auch eine Idee, aber dann haben wir eine Einheitsschule bis zu 10. Klasse und dann eine Sek. II. Der Übertritt ist aber nach der 4. Klasse und dann kannst du da wieder nix valide entscheiden. Außer, dass die Kolleg*innen am Gymnasium die ersten wären, die schreien, dass sie doch niemanden für eine Berufsausbildung qualifizieren, sondern für die Uni.

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